Programm Kriminalromane
Die anarchistische Gruppe «Nada», eine Frau und vier Männer, entführt den amerikanischen Botschafter in Frankreich aus einem Pariser Luxusbordell. Aber die Aktion verläuft nicht wie geplant, es gibt Tote. Und die Entführer müssen zusehends erkennen, dass sie die Fäden nicht selbst in der Hand halten, sondern selbst zu Opfern einer staatlichen Manipulation geworden sind, deren Ausführung Kommissar Goémond mit sadistischem Vergnügen übernimmt. Die Gewalt eskaliert.
«Nada», von Claude Chabrol verfilmt, ist der bekannteste Roman von Jean-Patrick Manchette. Der Roman liegt hier in Neuübersetzung vor.
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Nada
1
Meine liebe Mama,
diese Woche warte ich nicht erst bis zum Samstag, um Dir zu schreiben, weil ich Dir einiges zu erzählen habe, oh, là, là!!! Wir, also unsere Einheit, waren das nämlich, die die Anarchisten geschnappt haben, die den Botschafter der Vereinigten Staaten gekidnappt hatten. Ich will Dir aber lieber gleich sagen, daß ich persönlich nicht einen einzigen getötet habe. Das stelle ich hier klar, weil ich ja weiß, daß Dich das verdrißen dich zu verdrießen Du darüber ziemlich verdrossen wärst, meine kleine Mama. Trotzdem sage ich noch mal, daß das etwas ist, das wir ohne Schwäche ins Auge fassen müssen, falls wir eines Tages gezwungen sind, den Staat mit Gewalt zu verteidigen. Die Wange hinhalten ist ja gut und schön, aber was willst du machen, wenn dir Leute gegenüberstehen, die alles zerstören wollen, das frage ich Dich. Unser guter Pater Castagnac ist da ziemlich meiner Meinung (wir haben uns nämlich noch neulich an dem Sonntag, an dem ich nach der Messe gekommen bin, eingehend mit der Frage befaßt). Sein Standpunkt ist folgender: Wenn die Polizisten nämlich nicht wie ich zu allem bereit sind, dann gibt es doch überhaupt keinen Grund, daß sich gewisse Individuen nicht alles Mögliche erlauben, und das ist auch mein Standpunkt. Ganz im Ernst, kleine Mama, hättest Du gern ein Land ohne Polizei? Würdest Du wollen, daß der Sohn vom alten Barquignat (ich nehme den jetzt nur so als Beispiel) freie Bahn hätte, mit seinen lüsternen Händen über Deine Tochter herzufallen, die auch meine Schwester ist? Würdest Du wollen, daß sich Gleichmacher und solche Elemente, die alles teilen wollen, auf unser mühsam Zusammengespartes in einer Orgie der Zerstörung stürzen? Ich sag ja nicht, daß im Dorf nicht die Mehrheit der Einwohner brave Leute sind, aber trotzdem, schon in unserer kleinen ländlichen Gemeinschaft, wenn man nicht wüßte, daß es eine Polizei gibt, und daß die wenn nötig auch schießt, dann weiß ich bereits einige, die sich nicht zurückhalten würden, von den Zigeunern gar nicht zu reden.
Auf alle Fälle habe ich gestern nur getan, was mir befohlen wurde. Ich war mit François zusammen, von dem ich Dir schon erzählt habe, und wir haben ziemlich viel gefeuert, aber ohne Erfolg. Schließlich sind andere Ordnungskräfte von der anderen Seite des Gebäudes her in die Räumlichkeiten eingedrungen und konnten diese Individuen niederstrecken. Auf diese blutige Schlachterei, die einem den Magen umdreht, gehe ich nicht näher ein. François bedauert, daß er keinen dieser Anarchisten zu fassen bekommen hat, um ihn eigenhändig umzubringen. So weit gehe ich persönlich nicht, aber ich respektiere seinen Standpunkt.
Das ist jetzt aber ein ziemlich langer Brief geworden, und ich weiß nicht mehr, was ich Dir noch schreiben soll. Daher höre ich für heute auf. Umarme den Vater von mir, wie auch Nadège. Ich drücke Dich an mein klopfendes Herz.
Dein dich liebender Sohn,
Georges Poustacrouille
PS: Könntest Du mir, wenn es Dir keine Mühe macht, den «Quietsch-Camembert» schicken, weil ich den nämlich bräuchte, da wir den Unteroffizier Sanchez wegen seiner neuen Streifen mit einem Fest überraschen wollen. Dank Dir im voraus.
2
Épaulard parkte seinen Cadillac halb auf dem Gehsteig und ging dann die Straße hinauf bis zum Pissoir an der Ecke Mosquée und Jardin des Plantes, wo er sich erleichterte. Anschließend machte er wieder kehrt und zündete sich im Gehen eine Française Filter an. Épaulard, ein großer hagerer Mann, hatte die Visage eines Militärarztes, stahlgraues Haar, Bürstenschnitt, er trug einen kittfarbenen Regenmantel mit Schulterklappen. Er betrat eine Weinhandlung mit Ausschank und bestellte einen Sancerre, den er sich schmecken ließ. Mal abgesehen davon, daß man nicht mehr besonders viele Geschmacksnerven besitzt, wenn man sechzig Zigaretten am Tag raucht.
Es war fünf nach zwölf. D’Arcy war spät dran. Im selben Moment betrat der junge Mann den Schankraum. Er klopfte dem kittfarbenen Regenmantel mit der flachen Hand auf die Schulter.
«Ciao.»
«Salut.»
«Ich hab um zwei eine Verabredung und noch nichts gegessen. Steht dein Auto in der Nähe?»
«Gegenüber», meinte Épaulard, während er zahlte.
Sie überquerten die Straße. Unter dem Scheibenwischer des Cadillac steckte schon ein Strafzettel. Épaulard warf ihn in den Rinnstein. Sie stiegen in den weißen, schlammbespritzten Wagen.
«Bist du schon lange wieder in Frankreich?» fragte D’Arcy.
«Seit drei Wochen.»
«Hast du irgendeinen von den Jungs wiedergesehen?»
«Nein, keinen.»
«Was machst du zur Zeit?»
Während des Gesprächs hatte D’Arcy das Handschuhfach geöffnet und kramte darin herum.
«Im Seitenfach», sagte Épaulard.
D’Arcy griff hinein, fischte einen silbernen Flachmann hervor und trank direkt daraus. Er hatte ein rotes Gesicht und schwitzte. Immer noch genauso versoffen, dachte Épaulard. Als D’Arcy zu Ende getrunken hatte, steckte der fünfzigjährige Épaulard den Flachmann wieder weg. Darauf eingraviert war ein Vogel, der gerade eine Schlange verputzte, und ein Motto in schwülstigen Lettern: Salud y pesetas y tiempo para gustarlos.
«Du warst also in Mexiko», bemerkte D’Arcy.
«Ich war so ziemlich überall. Algerien, Guinea, Mexiko.»
«Und Kuba.»
«Ja, Kuba.»
«Sie haben dich rausgeschmissen», sagte D’Arcy.
Épaulard nickte.
«Und was machst du zur Zeit?» wiederholte D’Arcy.
«Du gehst mir langsam auf den Wecker», erwiderte Épaulard. «Was willst du eigentlich von mir?»
«Ein paar Genossen und ich», erwiderte D’Arcy, «bräuchten einen Fachmann.»
«Fachmann für was? Ich bin Fachmann für einen Haufen Sachen.»
«Die bewußten Genossen und ich werden uns den Botschafter der Vereinigten Staaten in Frankreich kaufen», sagte D’Arcy.
Épaulard stieg aus dem Auto und knallte heftig die Tür zu. Er überquerte erneut die Straße. D’Arcy lief hinter ihm her. Es begann zu nieseln: ein garstiger kalter und feiner Regen.
«Mach keinen Scheiß», rief der Alkoholiker. «Ich hab dir doch noch gar nicht alles erklärt.»
«Ich will gar nicht mehr darüber hören. Verpiß dich!»
Épaulard ging zurück in den Weinausschank und bestellte sich einen weiteren Sancerre. D’Arcy blieb unglücklich dreinblickend auf der Türschwelle stehen.
«Ach, leck mich doch am Arsch», sagte er schließlich und verschwand.
Nada
«In Jean-Patrick Manchettes Geniestreich ‹Nada› etwa entführt eine Gruppe von nicht mehr ganz so jugendlich-frischen Anarchisten den US-amerikanischen Botschafter aus einem Pariser Bordel [...]»
GIG
«Es ist wirklich eine Freude, ein hellwaches, anspruchsloses Vergnügen, Jean-Patrick Manchettes ‹Nada› nach über zehn Jahren nocheinmal zu lesen, nun in der Distel-Neuausgabe. [...] Verschiedentlich hab ich ‹Nada› schon als Manchettes Meisterwerk bezeichnet. Diese Einschätzung hat sich nun beim Wiederlesen kaum geändert... Unter dem Aspekt ‹politischer Roman› bleibt für mich also Manchettes ‹Nada› weiterhin sein wichtigstes Buch. Sein kraftvollstes, sein zwingendstes, sein reichstes, sein schillerndstes, sein ernsthaftestes, sein am ehesten ‹Pflichtlektüre› zu nennendes. [...]»
Roberts Krimitagebuch
«[...] Eigentlich sollten Manchettes Charaktere wissen, dass ihr Plan aberwitzig ist. Doch aus Frustration, anarchistischem Geist, Gier und Verzweiflung ziehen sie ihren Coup durch und schlingern in Manchettes manchmal schnoddrigen Stil geradewegs zum blutigen Finale. Die Figuren, ihre Umgebungen und ihre enttäuschten Träume sind durch und durch noir. Sehr zu empfehlen.»
www.mordlust.de
«[...] ‹Nada› wirkt durch seinen sachlichen, kurzen prägnanten Stil wie ein Dokumentarbericht über eine gescheiterte Entführung, ist in Wahrheit aber eine bitterböse, schwarze Analyse gesellschaftlicher Mechanismen, die in der Konsequenz nur zur Eskalation führen können. [...]»
Buchkultur
«Allen, die sehr schwarze, sehr schnelle Krimis schätzen, Freundinnen und Freunde des Existenzialismus mit einem romantischen no-future Einschlag und jenen, die sich in Sachen 70er Jahre weiterbilden wollen, seien die Romane von Jean-Patrick Manchette als Sommergepäck unbedingt empfohlen. [...]»
jos fritz Bücher, rote Liste
«[...] Manchette, der den französischen Kriminalroman der Schwarzen Serie in den Siebziger Jahren neu erfand, lieferte mit dem von Chabrol verfilmten Roman ‹Nada› sein gesellschaftskritisches Meisterwerk ab. In einer gänzlich desillusionierten Welt gibt es keine klaren Grenzen mehr zwischen Gut und Böse und die alltägliche Verzweiflung explodiert in mörderischen Aktionen.»
20 minuten
«[...] Die Figuren, ihre Umgebungen und ihre enttäuschten Träume sind durch und durch noir. Sehr zu empfehlen.»
mordlust
«[...] ‹Nada› ist erstmals 1972 innerhalb der hochkarätigen französischen Krimireihe Série Noire erschienen. [...] Ein bis heute unübertroffenes Meisterstück des harten, schwarzen Kriminalromans.»
amazon.de
«[...] Jean-Patrick Manchette hat bereits 1972 einen der herausragensten Krimis zu diesem Thema geschrieben, als das Geschäft der Terroristen noch das Entführen und Ermorden von Politikern war. ‹Nada› heißt dieser Klassekrimi, der von Claude Chabrol verfilmt wurde [...]. ‹Nada› ist kein klassischer Polizei-fängt-Verbrecher-Krimi, bei denen am Ende stets das Gute über das Böse siegt. Bei Manchette rückt stattdessen die Frage in den Vordergrund, ob es überhaupt noch Gute gibt. Und wie gewalttätig darf die Staatsmacht überhaupt sein? Manchettes Fragen bescheren uns einen der besten politischen Krimis.»
Heilbronner Stimme
«[...] Manchette läßt kein gutes Haar am französischen Staat und seinen Sicherheitskräften. Aber genau das erwartet man von einem rabenschwarzen Roman, dessen harte, schnörkellose Sprache so poetisch ist wie Gewehrsalven.»
Neues Deutschland
«Lassen Sie sich durch den Titel nur ja nicht beirren, hier handelt es sich tatsächlich um einen französischen Polar. Einen Pariser Polar obendrein, schön schwarz und wirklich urkomisch!»
LIBÉRATION
«Ein Roman zwar, doch man könnte es für Realität halten.»
LE NOUVEAU CLARTÉ