Programm Kriminalromane
In ihrer engagierten Radiosendung lässt Crista Gefängnisinsassen zu Wort kommen, unter anderem auch einen gewissen Manu. Als dieser entlassen wird, will er sich persönlich bei Crista bedanken, die sich auf der Stelle in ihn verliebt. Crista macht ihn mit dem Leiter des Senders bekannt, dem Manu anbietet, umsonst ein ultraeffizientes Informatik-System einzurichten. Was Crista nicht ahnt, ist, dass sie damit den Wolf in den Schafstall gelassen hat...
Verfilmt von Orso Miret.
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(Ihre Bestellung wird ausgeführt durch die Germinal Medienhandlung GmbH.)
Nur DJs gibt man den Gnadenschuss
Hinter Tours mussten sie die Autobahn verlassen, Richtung Chinon fahren und eine von Hügeln gesäumte Schnellstraße erreichen, von der aus nur Schieferdächer zu sehen waren, aus denen Turmspitzen hundertjähriger Bauwerke hervorragten. Stormy und Nord waren eingenickt, sobald der Widerschein der Ortschaften im Rückspiegel des Saab verblasst war. Ness fuhr sanft. Der Kopfhörer seines iPods, der in seinem rechten Ohr steckte, gab leise einen alten Raï von Khaled wieder. Er behielt das Display des Bordcomputers im Auge und passte sich den aufeinander folgenden Geschwindigkeitsbegrenzungen an; er erinnert sich noch gut daran, dass er damals vor sechs Jahren durch die Polizeikontrolle geschlüpft wäre, wenn er sich nur die Mühe gemacht hätte, sich anzuschnallen. Der Vorwand für die Durchsuchung. Sie hatten dann keinerlei Schwierigkeiten gehabt, das Heroin zu finden, das in einer wasserdichten Verpackung im Tank des Lieferwagens versenkt war. Der Richter hatte ihm drei Strafpunkte in der Verkehrssünderkartei aufgebrummt, dazu zwei Jahre Gefängnis ohne Bewährung, die er in Fleury abgesessen hatte. Von dort kam auch derjenige, den sie umbringen würden. Als sie durch Savonnières fuhren, einen an der Cher entlang gestreckten Marktflecken nicht weit vom Zusammenfluss mit der Loire, kam Nord aus seiner Siesta wieder zu sich. Sie fuhren an einem Rathaus vorbei, das von der Nationalstraße zurückgesetzt an einem viereckigen, vom blinkenden Licht eines Apothekenkreuzes besprenkelten Platz lag.
«Kannst du am Tabakladen anhalten... Ich muss mal pinkeln...»
Ness zog an der Strippe seines Kopfhörers, der zwischen seine Oberschenkel fiel.
«Kneif noch fünf Minuten, bis wir durch das Kaff durch sind. Danach machen wir eine Pause im Wald, die Gelegenheit, um uns die Beine zu vertreten, und vor allem, um das Programm festzuklopfen... Je weniger Blicken wir begegnen, desto besser...»
Jetzt hatte sich auch Stormy, der hinten zusammengesunken war, wieder aufgerichtet.
«Sind wir bald da?»
«Ja, fast. Uns bleiben bestimmt keine zehn Kilometer mehr. Wir müssen durch Villandry fahren, dann ist es auf der linken Seite Richtung Chateau d’Azay-le-Rideau. Das ist lustig, aber ich war schon mal in dieser Gegend, als Kind mit der Schule... Der Name ist mir im Gedächtnis geblieben, Azay-le-Rideau...»
«Erkennst du es wieder?»
«Wo denkst du hin, das ist über zwanzig Jahre her! Ich kann mich überhaupt nicht mehr an die Landschaft erinnern, wir sind im Bus gekommen, und ich muss gestehen, dass wir voll rumgesponnen haben... Was von dem Ausflug hängen geblieben ist, ist die Größe der Zimmer in dem Schloss... Allein ins Schlafzimmer passt ein ganzes Stockwerk vom Tour des Bosquets! Und die Möbel, die sind nicht aus dem Sonderangebot vom Kaufhaus But, kein Sperrholz, an dem du dir die Finger aufreißt, wenn du die Schraube ein wenig zu stark anziehst... Alles ist direkt aus dem Baum grob zugeschnitten. Und weißt du, was das Komischste ist?»
Er wandte sich Nord zu, der sich allmählich langweilte.
«Was du uns bisher erzählt hast, finde ich nicht besonders komisch... Aber mach weiter, man weiß ja nie...»
Ness lächelte nur, während er vom Gas ging, als sie sich einem Kastanienwald näherten.
«Der Typ, der es vor fünf Jahrhunderten erbauen ließ, war stinkreich. Er hat es seiner Frau, Philippe geschenkt...»
Stormy neigte sich zu seinen beiden Teamgefährten vor.
«Philippe? Ist das der Mädchenname der Nana?»
«Nein, das ist ja das Komische, das war ihr Vorname...»
«Er hat mit einer jungen Frau zusammengelebt, die Philippe hieß! Was waren das für Leute, Homos der Renaissance?»
Der Saab fuhr von der Straße ab und landete auf einem Parkplatz am Waldrand. Dann bog Ness in einen von aufgeweichten Wagenspuren übersäten Waldweg ein, dem er etwa hundert Meter folgte. Sie schlugen sich in die Büsche, um sich zu erleichtern, dann breitete Ness ein Blatt Papier auf der Motorhaube aus. Er zeichnete die Zugänge, den Garten, und das Haus auf und lokalisierte die verschiedenen Zimmer. Anschließend gingen sie den Angriffsplan noch einmal Schritt für Schritt durch. Nachdem er einen Joint geraucht hatte, den die anderen beiden ablehnten, bestand Nord darauf, die Funktionsfähigkeit seiner Glock zu überprüfen, und Stormy musste Ness zur Hilfe kommen, damit Nord die Türverkleidung nicht abmontierte, hinter der die Waffen versteckt waren.
«Du kannst ja wohl noch eine viertel Stunde ohne dein Spielzeug leben! Ness hat Recht. Auf dem Land sind die Gendarmen eine Plage. Es ist besser, wenn wir so lange wie möglich clean bleiben. Wir müssen nur vier Klammern aufspringen lassen und zwei Schrauben lösen... Wir bewaffnen uns, wenn wir ankommen.»
Sie fuhren wieder auf die Straße, passierten die mit Eiben und Buchsbaum bepflanzten Gärten, die um Villandry herum angelegt waren, und überquerten Wasserläufe – welche die Fontänen, Brunnen, Obstgärten und Schlossgräben mit Wasser versorgten –, bevor sie dann aufs flache Land abbogen. Der Typ, den sie beseitigen mussten, wohnte am Ortsausgang von Vallères, ein Bauerndorf, dessen Höfe nach und nach von Leuten aus Tours abgekauft wurden, und die dann ihre alten Häuser den Parisern überließen, die im Besitz von Anleihekapital und einer Netzkarte für den TGV waren. Ness parkte zwischen der Scheune und einem Stapel mit runden Heuballen, damit Stormy die drei, in ebenso viele Strumpfmasken gewickelten Semi-Automatik-Pistolen hervorholen und ein erstklassiges Handy aus dem Handschuhfach nehmen konnte. Dann fuhren sie in einen steinigen Weg, der zu dem Steinbruch führte, und ließen den Wagen schließlich neben den Überresten eines Krans und einer Weiche der Schmalspurbahn stehen. Eine Abzäunung aus mit Kalk geweißtem Eternit, verstärkt durch eine Ligusterhecke, grenzte den Besitz ein. Sie überwanden das Hindernis mühelos und landeten auf einer von wildem Gras überwucherten Wiese. Das Haus ihnen gegenüber bestand lediglich aus einer nach hinten zwei Meter tiefen Glasveranda, die an dem freigelegten Felsen lehnte, in den sich das Stahl der Sägen gefressen hatte. Stormy beugte sich zu Ness hinüber.
«Sieht aus, als sei niemand da...»
«Das ist nicht sicher... Wir bleiben auf der Hut. Vielleicht schlafen sie noch. Wir verhalten uns so, als wäre es brechend voll... Schau, da hinten, hinter der Hecke, steht ein Wagen. Ein Audi A3... Hast du deinen Glasschneider?»
Stormy zeigte ihn lächelnd vor.
«Du schneidest die Scheibe über dem Türgriff heraus. Sobald du durch bist, steigen wir mit dir ein...»
Stormy brauchte sein Gerät nicht zu benutzen. Die Tür war nicht verschlossen, und als er sie aufzog, drang der metallische Klang einer elektrischen Gitarre nach draußen. Die Veranda diente als Rumpelkammer: Fahrräder, Rasenmäher, Mülltonnen, Eisschrank. Sie schirmte den Eingang einer imposanten Höhle ab, die in den Felsen gehauen war. Der erste Raum, gewölbt, fünf oder sechs Meter hoch, durch einen Lichtschacht erhellt, war von drei Türen durchbrochen, die zu einer Reihe bescheidenerer Räume führten. Im Schutz der näher kommenden Akkorde, die auf den Saiten angeschlagen wurden, drangen sie in das Zimmer vor, das als Wohnzimmer diente. Sie trennten sich. Ness rechts, Stormy in der Mitte und Nord links. Er hatte noch keinen Meter in dem Kalksteinflur zurückgelegt, als er plötzlich einem etwa zehnjährigen Jungen gegenüberstand, der mit einer Gitarre vor dem Bauch aus seinem Zimmer kam. Er ließ ihm keine Zeit, das in Schreie zu fassen, was seine Augen ausdrückten, und schlug ihn mit der flachen Seite seiner Glock mit einem Schädelhieb nieder. Ein markerschütterndes Pfeifen begleitete den Sturz des Jungen. Nord setzte dem ein Ende, indem er den Verstärker aus der Steckdose zog. Eine Stimme erhob sich in dem Raum, auf den er nun zusteuerte.
«Nicht so laut, Ewan! Das ist ja keine Musik mehr, das ist Lärm!»
Er wartete, bis seine beiden Teamgefährten zu ihm gestoßen waren, um es Ness zu überlassen, als Erster in die Höhle einzudringen. Der Mann, den zu töten sie gekommen waren, entspannte sich gerade in einer Badewanne, die mitten im Raum unter einem gewaltigen Stalaktiten stand, der alle zehn Minuten einen Tropfen ausschwitzte, der in das Badewasser fiel. Als er, durch ein Geräusch alarmiert, den Kopf wandte, begriff er, dass er den nächsten Tropfen nicht mehr fallen sehen würde. Sein einziger Gedanke galt seinem Sohn.
«Was habt ihr mit Erwan gemacht, und mit...?»
Ness ließ ihn nicht ausreden. Er hob langsam den Arm und drückte zweimal auf den Abzug seiner Pistole. Die erste Kugel riss dem Badenden die Nase und ein Stück vom Ohr ab. Die zweite, tödlich, zerfetzte die Stirn und setze einen Schwall von Hirnmasse und Blut frei, der über seinen Oberkörper strömte. Obwohl er ganz offensichtlich tot war, näherte Nord sich der Leiche. Er zertrümmerte ihm den Nacken mit einem Schuss aus nächster Nähe. Stormy steckte die Hand in seine Tasche, um das Handy herauszuziehen, das er in das rot gefärbte Wasser warf. Sie wichen gerade zurück zu dem gewölbten Saal, als eine junge blonde Frau in einem malvenfarbenen Kleid, die Brust von einem Bodysuit modelliert, von der Veranda hereinkam. Sie begann zu schreien und machte Anstalten umzukehren, aber Nords präziser Schuss ließ ihr keine Chance. Sie fiel mit dem Gesicht auf den Fußboden, versuchte sich mit am Boden festgekrallten Händen fortzubewegen, bis sie schließlich von Zuckungen erfasst wurde. Als die Männer die Tür ins Freie aufstießen, war sie bereits tot.