Programm Kriminalromane
Schauplatz Nizza. Wittgenstein-Fan und Anarchist, so definiert sich Zoj Werstein. Zudem Roma. Und hilfsbereit. Auch, als er im Krankenhaus auf Liliane trifft, der eine Autotür ins Kreuz geflogen ist. Liliane ist am nächsten Morgen aus dem Krankenhaus verschwunden. Und mit ihr die von Zoj so geliebte Wittgenstein-Ausgabe. Klar, daß er Liliane finden muß. Wegen des Wittgensteins mit den persönlichen Anmerkungen und Anstreichungen. Doch Zoj findet noch mehr. Unversehens wird er Hauptakteur in einer harten Auseinandersetzung mit einem Ring von Kindesentführern, die ihren Auftraggebern das liefern, was diese lieben...
Knallhart, prägnant, ohne Kompromisse: Jean-Bernard Pouy in Bestform. Ein Thriller um Kinderschändung, aktuell und schockierend.
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Engelfänger
Es war Nacht, und alles sah aus wie auf einer zu dunkel geratenen Fotokopie, der Himmel und das Meer gesättigt mit Graphitstaub bis in die kleinsten Elementarteilchen. Alles plätscherte dahin unter der dunklen Glocke des Firmaments, sachte wie lauwarmes Quecksilber.
Zwei gelbe Augen, das ungespiegelte Licht aus den Luken, deuteten auf ein Boot hin, allein inmitten der träge fließenden Wellen, deren tiefes Grau sich schwach gegen den Horizont abhob. Es war ein schnelles Boot, eine hochgezüchtete Rennjacht, die jetzt bedrohlich still dalag, versteckt in der undurchsichtigen Weite der hohen See.
Jérôme Kaspar warf einen Blick auf seine Quarzuhr, indem er leicht die Leuchttaste für das Zifferblatt niederdrückte. Rauchend stand er auf der Brücke seines Motorbootes und spähte hinüber zu dem reglosen Rumpf der Jacht, aus deren geschlossener Steuerkabine kein Laut nach außen drang. Von Zeit zu Zeit schaute er auf die Luke seines eigenen Bootes. Unter Deck, eingeschlossen in der kleinen Kajüte, betäubt von Beruhigungsmitteln, lagen die Kinder, niedergestreckt, und schliefen oder dösten vor sich hin.
Er war nur noch zweihundert Meter entfernt, stoppte den gedrosselten Dieselmotor ganz und wartete. Seine aufgerauchte Zigarette warf er ins Meer und zündete sich sofort eine neue an. Er mußte furzen vor Kälte und überließ es der nächtlichen Brise, etwaige üble Gerüche zu zerstreuen.
Mit einem erneuten Blick auf seine Armbanduhr stellte er fest, daß es genau zwei Uhr morgens war. Er pfiff dreimal kurz hintereinander. Vom Boot kam Antwort. Zwei Pfiffe. Er warf den Motor wieder an. Die Schiffsschraube wirbelte das Meer auf, die schweren Wogen wurden zu perlendem Mineralwasser.
Ein Bootshaken zog ihn dicht an den makellos weiß lackierten Rumpf der Jacht. Zwei Matrosen stiegen wortlos herunter zu seinem schaukelnden Boot. Sie öffneten die Deckluke, leuchteten mit einer Taschenlampe ins Bootsinnere, holten die drei schlafenden Kinder heraus und schwangen sie hoch auf das andere Boot. Wie tote Körper, dachte Jérôme Kaspar unwillkürlich. Bald werden sie ihren Geist aufgeben. Oder zu anderen Wesen werden. Aber ihm war es egal, Geschäft ist Geschäft. Und es bringt schließlich was ein.
Ein anderer Mann ist aufgetaucht. Die Schiffermütze sitzt ihm wie festgeschraubt auf dem Kopf. Jérôme kennt ihn, hat ihn schon in anderen mondlosen Nächten an Deck dieser Jacht gesehen. Er sieht aus wie alle Superreichen, die sich mit ihren schwimmenden Palästen in den Häfen der Côte breitmachen. Dieser reiche Mann betrachtet jetzt die Kinder, leuchtet eins nach dem anderen ungeniert mit der Taschenlampe ab; Lichtstrahlen, die in den verdrehten Augen der Kleinen nur ein schwaches Blinzeln bewirken. Und nun reicht ihm der reiche Mann wortlos ein Bündel Geldscheine. Mit angefeuchtetem Finger zählt Jérôme nach.
«Wie besprochen», sagt die Stimme von oben, «fünfzehntausend Francs pro Kopf... Ich hatte gesagt, Blonde. Aber es wird auch so gehen...»
Jérôme verstaut das Geld in einer Tasche.
«Am 10. also, zur gleichen Zeit. Mit einem anderen, einem blonden... Natürlich nur, wenn es sich machen läßt, aber es wäre schon gut... Man wird zwei Tage vorher mit dir Kontakt aufnehmen, wie üblich...»
«Nächsten Monat geht es nicht», antwortet Jérômes heisere Stimme.
«Und warum nicht?»
«Ich mache Urlaub. Mit meiner Frau. Zwei Monate. Muß zur Ruhe kommen und mich ein bißchen rar machen. Ganz Nizza ist in Aufruhr, die Zeitungen sind voll davon. Und man schließt sich schon zu Gruppen zusammen...»
«Laß sie doch. Das tun sie nur, um sich selbst zu beruhigen.»
«Nein, ich weiß schon, was ich sage. Schließlich arbeiten wir ja vor Ort...»
«Zu dumm», sagt der reiche Seemann, «wirklich zu dumm...»
In seiner Hand erscheint eine Pistole. Jérôme hat sie sofort gesehen. Trotz der nächtlichen Dunkelheit ist die Leichenblässe auf seinem fetten Gesicht deutlich zu erkennen. Er spricht, seine Stimme klingt nur schwach.
«Sie wissen genau, daß Sie sich auf mich verlassen können!»
«Ich weiß, ich weiß.»
Zwei Schüsse knallen. Jérôme Kaspars Kopf verändert sich. In einem ziemlich blutigen Sinn. In einem Krachen berstender Knochen. Sein Körper stürzt polternd quer über das Boot, seine Arme hängen schon im schwarzen Wasser. Einer der beiden Matrosen stößt ihm einen Bootshaken tief in den Rücken und zieht ihn dicht längsseits. Mit einer Axt in der Hand springt der andere Matrose hinunter auf den Fischerkahn. Nach zwei präzise geführten Hieben auf den hölzernen Bootsleib klimmt er wieder nach oben an seinen Arbeitsplatz.
Mit einem schwerfälligen Keuchen des Dieselmotors setzt sich die Jacht in Bewegung, wühlt das Wasser auf und entfernt sich. Im Wasser hängt der aufgespießte Körper von Jérôme Kaspar, brav folgt er dem Schiff, auf und nieder hüpfend unter dem wirbelnden Kielwasser.
Der verlassene Kahn wiegt sich leicht und sinkt langsam in die nasse Schwärze.
Nach und nach breitet sich unter dem sternenleeren Himmel wieder die Idylle einer mediterranen Nacht aus.
Engelfänger
«[...] Ein guter und schneller Krimi der berühmten Série noire.»
20 minuten
«[...] Ein schneller, ohne Mätzchen erzählter Krimi, dessen knallharter Humor die grauenvolle Geschichte nur noch gnadenloser macht.»
metropol
«Mit «Jagd auf kleine Engel» gelingt Jean-Bernard Pouy ein durchgängig heikles und subtiles Buch. Eine schnörkellose Schreibweise, ein ausgeprägter Sinn für prägnante Schilderungen, ein großes schweres Herz: einer der besten Krimis des Jahres.»
LIRE
«Eine grauenvolle Geschichte, doch auf heitere Art erzählt, mit Humor, der noch in den schlimmsten Momenten zutage tritt. [...] Ein packender Roman, den man sich nicht entgehen lassen sollte.»
LE DAUPHINÉ LIBÉRÉ
«Durch Originalität und ein Gespür für verwickelte Storys hat Jean-Bernard Pouy sich in den Rang der Besten erhoben.»
OUEST-FRANCE
«Ein ganz und gar überzeugender Roman.»
SÉRIE B
«Ein Polar - beißend, temporeich, wie es sich gehört. [...] Ein Buch, das perfekt in die Gattung des neuen französischen Krimis paßt.»
Journal du centre
«‹Engelfänger› beschreibt ein unglaublich grausames Thema, wobei die Sprachgestaltung das Szenario auflockert. Die Erzählweise ist erfreulich frisch und teilweise sogar humorvoll und verhindert, dass die bedrückende Thematik den Leser zu sehr ‹nach unten zieht›. Der Wechsel zwischen Erzähler und der Ich-Perspektive ist teilweise verwirrend, ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich um einen guten und lesenswerten Kriminalroman handelt»
Literature.de
«Für ‹Engelfänger› hat der Journalist, Drehbuchautor und Lektor Jean-Bernard Pouy den ‹Grand Prix de la ville de Reims› bekommen. Und, was soll man sagen, den hat er mehr als verdient.»
www.buecherknecht.de
«[...] Pouy ist einer jener Erzähler, deren Fiktion von erschreckender Realitätsnähe ist, womit die Spannung schon garantiert wäre. Doch Pouy verfügt zudem über ein besonderes Geschick, das solch beängstigende Geschichten überhaupt erst lesbar macht: Er paart die Ebene des nüchternen, an die Nerven gehenden Erzählens mit einem Distanz schaffenden Humor, ohne sich über das Leiden lustig zu machen. Aber nur so ist es zu ertragen. Unbedingt lesen!»
Heilbronner Stimme