Programm Allgemeine Belletristik

Wüstenstaub

Diez, Rolo

 

 

«Sex ist eine Form von Lebendigkeit: Rolo Diez Kriminalroman "Wüstenstaub": Rolo Diez lässt einen Macho-Cop in Mexiko aufräumen: Manchmal beim Frühstück, nach einigen unwesentlichen Happen und ein paar wesentlichen Drinks kommen dem Polizeioffizier Carlos Hernández die eigentümlichsten Gedanken. "Wir hatten einen wunderbaren Präsidenten, Bush bombardierte den Irak aus rein humanitären Gründen, die Polizisten waren ehrlich, und da die Abgasschleier hohe Ansprüche an unsere Augäpfel stellten, würden die Bewohner von Mexiko-City mit der Zeit über eine Sehschärfe verfügen, um die sie jeder Luchs beneiden würde, vielleicht vergleichbar mit der von Röntgenstrahlen oder von Nachtsichtgeräten oder so etwas ähnlichem."
So ist und denkt er, Carlito, der abgebrühte mexikanische Cop, vielleicht kein Superbulle, aber ein Spitzenliebhaber. Unerschrocken und inbrünstig führt er ein Doppelleben, und zwar mit seiner Ehefrau Lourdes ("Der Gesichtsausdruck meiner Frau war ein Poem") und seiner Geliebten Gloria. Auch wenn ihn sein Job oft noch mehr auslaugt als sein komplexes Liebesleben - von den ganzen außerehelichen und außerzweitfraulichen Aktivitäten abgesehen -, weiß er, dass es kein falsches Leben im richtigen gibt und er als verantwortungsbewusster Mann und Macho alles dafür tun muss, seine Lieben glücklich zu machen. Zwei Frauen, fünf Kinder, die wollen anständig ernährt sein, da darf der "erotische Kater" nach einem abgebrochenen sexuellen Übergriff nicht zu lange dauern.
"Sie war Eva in einem Paradies der Bücherratten und Aktenordner. Sie war Evas Apfel. Ich ging zu ihr hin und biss sie ins Ohr. Ich weiß nicht, ob dem verwässerten Kaffee in den Amtsstuben Tijuanas Aphrodisiaka beigemischt werden oder ob Gespräche mit Bürgermeistern so starke Geschlechtstriebe freisetzen, ich weiß jedoch, dass es im Leben nichts gab, was mich stärker interessierte, als die zukünftige Ehegattin eines brillanten Wirtschaftswissenschaftlers auf einem Stapel Aktenordner aufs Kreuz zu legen. Ich kämpfte mich gegen den Festungswall ihrer Kleidung durch und stieß auf weitere Äpfel."
Apropos Bürgermeister: In seinem jetzt im Heilbronner Distel Literatur Verlag erschienenen Kriminalroman "Wüstenstaub" aus dem Jahr 2001 gestaltet der argentinische, heute in Mexiko lebende Schriftsteller Rolo Diez nicht nur den Geschlechtstrieb seines Helden mit schöner Akribie. Natürlich widmet er sich - auf entspannte, entspannende und hochspannende Weise - auch dem Verbrechen. In drei Teilen erzählt Diez von den abgekarteten Spielen einflussreicher Politiker und Richter. Dabei verpasst er Hernández die eine oder andere Delle im Panzer seines Selbstbewusstseins und schickt ihn nicht nur ins von Drogenkurieren, Kriminellen aller Art und illegalen Flüchtlingen bevölkerte Grenzgebiet im Norden. Diez katapultiert seine Hauptfigur aus der gewohnten inneren Umlaufbahn hinaus in die Finsternis, wo auf nichts mehr Verlass ist, außer auf sich selbst. "Es fiel mir schwer zu glauben, dass Pancho jetzt für Pomar arbeitete. Rissos Anschuldigungen bewiesen nichts. Ich würde nur das glauben, was ich mit meinen eigenen Augen sah. So hat es der Heilige Thomas gemacht, und so würde es auch Carlos Hernández tun."
Gelegentlich spricht er in der dritten Person von sich, er braucht das. "Ich wurde plötzlich von einem Wichtigkeitssyndrom befallen." Und was hilft dagegen? Sex und Arbeit. "Zwei Liebesrunden später ging ich mit schmerzenden Lenden und mich fragend, was in zehn Jahren aus mir werden würde, mit einem Koffer in der Hand und bekleidet mit meinem dunkelsten Anzug zum Flughafen." Er muss nämlich die Leiche einer jungen Frau nach Tijuana überführen. Kaum angekommen, gerät er in den Entführungsfall eines siebenjährigen Jungen, der ausgerechnet der Sohn des Bürgermeisters ist. Den coolen Carlos stellt die Angelegenheit zunächst nicht unbedingt vor einschneidene Probleme.
Am Ende aber bleiben fünf Leichen zurück. Sein Chef, der Kommandant, bezweifelt, dass Carlos vollkommen unschuldig an den Ereignissen ist. Doch Carlos zerstreut die Sorgen seines Vorgesetzten auf lässige Weise, und drei Morde später findet er endlich Zeit, mit seiner Zweitfrau und ihren drei gemeinsamen Kindern auszugehen. Anschließend widmet er sich wieder dem, was einen Mann wie Carlos Hernández überhaupt erst sich selbst erkennen lässt.
"Nach dem Essen brachte die hervorragend organisierte Gloria die Kinder zu einer Freundin, und wir beide ließen uns den eiskalten Sekt zwischen wogenden Betttüchern und dem Nirwana munden, das ihre blühende Haut hervorbrachte. Wer braucht denn hier das Meer, und wer braucht etwa Urlaub? Das einzige, was Hernández braucht, ist am Leben zu bleiben." Und das schafft er, sogar in scheinbar aussichtslosen Situationen, und er übersteht sogar die schwedischen Filme, die seine Frau so gern im Fernsehen anschaut und bei denen sie zu einem absolut lustfeindlichen Monster mutiert. "Ich bin davon überzeugt, dass Lourdes Marquis de Sade in tiefe Depressionen gestürzt hätte."
Was für ein Typ, dieser Offizier Carlos Hernández. Zum Glück gibt es bereits zwei weitere Romane mit ihm: "Der Tequila-Effekt" und "Hurensöhne".»

Friedrich Ani, Die Kriminalkolumne, Süddeutsche Zeitung

 

 

 



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